Was unterscheidet Wahrheit, Lüge sowie Bullshit und warum halte ich dies für relevant? Meine persönliche Antwort hat etwas mit dem zu tun, was ich vor ein paar Tagen um 03:00 Uhr morgens im TV-Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump beobachten durfte. Hier konnte man aus meiner Sicht erleben, was es bedeutet, wenn diese Unterscheidung nicht mehr im Blick ist und schlimmer noch, nicht mehr relevant erscheint.

 

Schauen wir daher einmal genauer hin. Was verstehen wir unter Wahrheit. Zunächst kann man aus einer praktischen Perspektive sagen, dass Aussagen die wir als wahr bezeichnen etwas über die Welt aussagen, auf das wir uns verlassen können (sollten). Aussagen wie z. B. „es regnet draußen“ sind, wenn sie wahr sind, sehr hilfreich, da ich dann nämlich mit einer Jacke oder einem Schirm nach draußen gehen kann und so dem Problem entgehe, dass ich nass werde. Umgekehrt ist es unangenehm, wenn diese Aussage nicht stimmt und ich unnötigerweise mit den angesprochenen Utensilien das Haus verlasse und sie den ganzen Tag umsonst mitschleppen muss. Wahrheit ist also nützlich. Aber wie erkenne ich sie? Wie können wir sicher sein, dass eine Aussage wahr ist? Dies ist eine sehr viel schwierigere Frage, welche auch heute nicht abschließend von Philosophen im Konsens beantwortet wird.

 

Der Soziologe Niklas Luhmann beantwortet die Frage nach der Wahrheit so, dass er ihr eine Funktion zuschreibt und zwar die, dass wir, wenn wir etwas als wahr behaupten können, wir die Möglichkeit haben, bei unserem Gegenüber eine veränderte Wahrnehmung der Welt voraussetzen zu können. Wahrheit hilft uns also soziale Situationen zu vereinfachen. In der Gesellschaft haben sich auf Grund dieser nützlichen Funktion sogenannte Programme herausgebildet, über welche sozial anerkannt festgestellt werden kann, dass Wahrheit vorliegt. Dies ist z. B. das Programm der empirischen Wissenschaft. In der Physik gilt z. B. die Entdeckung eines neuen Teilchens als sicher, wenn die Hypothese, dass dieses Teilchen existiert in Experimenten mit einer Sicherheit von mehr als 99,999953 % behauptet werden kann. Nicht 100%! Selbst in der Physik bleiben also Schlupflöcher. Dazu hat David Hume bereits im 18. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass empirische Aussagen nicht dazu verwendet werden können, um immergültige Aussagen zu treffen. Sein Gegenbeispiel war, dass wir auch nach einem ganzen Leben voller Sonnenaufgänge nicht mit Sicherheit sagen können, dass morgen wieder die Sonne aufgehen wird bzw. die Aussage, dass alle Schwäne weiß sind, bereits durch die Existenz eines einzigen schwarzen Schwanes falsch würde. Eine zweite Möglichkeit Wahrheit zu behaupten ergibt sich aus den Gesetzen der Logik. Hier braucht man eine als wahr geltende Aussage und muss dann zeigen, dass die Aussage, deren Wahrheitsgehalt man nachweisen will, durch logische Regeln aus der ersten Aussage hergeleitet werden kann. Dieser Weg der Wahrheitsfindung leidet aber ebenfalls unter harscher Kritik. Zum einen bleibt die Frage offen, wie man die Wahrheit des Ausgangsausdrucks zeigen kann und zum anderen zeigte der Mathematiker Kurt Gödel, dass logische Systeme entweder unvollständig oder in sich widerspruchsvoll sind. Also auch hier keine letztendliche Sicherheit.

 

Heißt dies nun, dass man das Projekt der Wahrheitsfindung am besten gleich ganz aufgeben muss? Wenn es um einen endgültigen philosophisch unanfechtbaren Weg der Wahrheitsfindung geht, ist die Antwort offensichtlich ja. Wenn es um einen Wahrheitsbegriff geht, welcher in sozialen Kontexten Orientierung für praktisches Handeln geben kann und begründete Glaubenssätze über die Welt vermitteln hilft, dann würde ich sagen, sind wir mit den obigen, wenn auch nicht perfekten Programmen, besser bedient als durch viele ihrer Vorläufer wie z. B. Aberglaube, Astrologie, schwarze Magie etc.. Es macht eben doch einen Unterschied, ob ein Medikament nur dadurch in seiner Wirksamkeit bestätigt wurde, weil ein Bekannter einen Bekannten kennt, dem es geholfen hat oder ob die Wirksamkeit an Tausenden von Patienten unter kontrollierten Bedingungen überprüft wurde. Das hier dann auch der Fall eintreten kann, dass die Wirksamkeit eines medizinischen Ansatzes als nicht nachgewiesen gilt, obwohl er vielleicht doch im obigen Sinne als wirksam nachgewiesen werden könnte, so man denn eine entsprechende Studie veranlassen würde, ist aus meiner Sicht der Preis dafür, dass eine Unterscheidung zwischen wahr und falsch und damit zwischen Wahrheit und Unwahrheit weiterhin sozial wirksam aufrecht erhalten werden kann. Soziale Programme der Wahrheitsfindung wirken sozusagen wie die Geldpolitik einer Zentralbank gegen die Inflation des Wahrheitsbegriffes. Warum das wichtig ist? Nun stellen wir uns doch einmal kurz eine Welt vor, in welcher der Wahrheitsbegriff inflationär geworden wäre. In der der Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit keine Rolle mehr spielen würde. Mir läuft es da kalt den Rücken runter.

 

Wie steht es jetzt aber mit der Lüge, also der Unwahrheit? Dieser Frage gehe ich in meinem nächsten Blogbeitrag nach.