Nach „Haltung entscheidet“ aus dem Jahr 2019, jetzt der Nachfolgeband „Haltung erweitern“ aus dem Mai diesesJahres. Worum geht es in seinem neuen Buch? Lassen Sie mich vor einer Antwort auf diese Frage zunächst noch einmal einen Blick zurückwerfen und die Frage aufwerfen, welchen Ertrag uns das Buch „Haltung entscheidet“ im Jahr 2019 bereits hinterlassen hat.

In seinem ersten Buch hat Martin Permantier zunächst sein grundsätzliches Modell der sechs Haltungsstufen vorgestellt. Diese sechs Haltungsstufen manifestieren sich dabei aus seiner Sicht als unterschiedliche innere Sprachmodelle im Umgang mit Welt in Individuen, die sich primär in den vier Kerndimensionen:

  • Charakter,
  • Interpersoneller Stil,
  • Bewusstseinsfokus,
  • Kognitiver Stil,

voneinander unterscheiden. Hierbei beinhaltet jede nachfolgende Haltungsstufe das Wissen und die Einsichten der vorherigen Stufen. So kommt es in gewissem Sinn bei der Entwicklung von einer Haltungsstufe zu einer nächsten Stufe, zu einer Erweiterung des inneren Sprachmodells im Umgang mit Welt. Den Prozess dieser Stufenentwicklung bezeichnet er in Anlehnung an Thomas Binder als Prozess der inneren oder vertikalen Entwicklung und unterscheidet ihn vom Prozess der horizontalen Entwicklung, welcher im Wesentlichen durch die Prozesse der Wissens- und Kompetenzentwicklung manifestiert wird.

In seinem ersten Buch finden sich eine Vielzahl von Beispielen, wie sich die einzelnen Haltungsstufen unterscheiden. Zusätzlich finden sich im Buch ebenfalls Hinweise, wie sich eine individuelle Haltungsstufe in einem gegebenen Rollenkontext z. B. aus sprachlichen Beobachtungen (Satzergänzungstests) ableiten lassen. Zuletzt werden im Buch an vielen Stellen bereits erste konzeptionelle und methodische Hinweise zu der Frage gegeben, wie Haltungsentwicklung z. B. auf individueller Ebene selbstgesteuert initiiert werden kann. Verwiesen sei in diesem Kontext auf das im Buch erwähnte Konzept „des Selbstentwicklers“ von Jens Corssen oder aber sein eigenes Treppenmodell der inneren Entwicklung.

Gleichzeitig hat Martin Pemantier in diesem ersten Buch aber auch schon weitergehende Anwendungsmöglichkeiten des Haltungsmodells sowohl auf Individual- als auch auf Team- und Organisationsebene („ICH-WIR-ALLE“) vorgestellt. Hierbei betonte er vorrangig den Punkt, dass diese Ebenen miteinander verschränkt sind und sich die Haltungsentwicklung im Konkreten durch das vollzieht, was auf diesen Ebenen simultan passiert oder durch gezielte Interventionen angeregt wird. Eine ganzheitliche Haltungsentwicklung muss daher aus seiner Sicht z. B. in organisationalen Settings immer sowohl Angebote auf Individualebene machen, Team-Settings adressieren und last but not least auch am Wertekontext einer Organisation arbeiten. Zusätzlich muss aus seiner Sicht in Organisationen vor allem aber auch das Phänomen Führung Aufmerksamkeit erhalten. Hier weist die Einsicht von Frederic Laloux den Weg:

„Eine Organisation kann sich nicht über die Entwicklungsstufe ihrer Führung hinaus entwickeln.“

Martin Permantier zeigt in seinem Buch daher auch noch einmal im Detail auf, wie sich die unterschiedlichen Haltungen in der Führungspraxis voneinander unterscheiden lassen.

Das Buch blickt zum Abschluss auch noch auf den gesellschaftlichen Kontext von Haltung und zeigt hier langfristige Entwicklungen in unseren westlichen Gesellschaften auf, welche ebenfalls für die Entwicklung vor Ort einen wichtigen Einfluss haben.

Fasst man den Stand von Permantiers Arbeiten nach seinem ersten Buch zusammen, so lagen bereits folgende Aspekte in ausgearbeiteter Form vor:

  • Definition von Haltung als inneres Sprachmodell für den Umgang mit Welt,
  • Haltungsstufenmodell im Detail (sechs Stufen),
  • Entwicklungsprozess durch die Haltungsstufen als Prozess der vertikalen inneren Entwicklung,
  • Verbindung der Ebenen Individuum, Team, Organisation und Gesellschaft in der Haltungsentwicklung,
  • Verbindung von Führung und Haltung,
  • Beispiele für Methoden und Interventionen zur Initiierung innerer Entwicklungsprozesse.

Kommen wir an dieser Stelle jetzt aber wieder zurück zu Martin Permantiers zweiten Buch. Was liefert dieses Buch jetzt an Neuem auf der Basis dieses bereits sehr umfangreichen Sachstands?

Mein Eindruck ist, dass das Buch „Haltung erweitern“, in drei Aspekten über den Sachstand des ersten Buches hinausgeht. Dies sind:

  1. Ergänzungen, Kommentare und Kontexte zum Haltungsmodell aus dem ersten Buch.
  2. Erweiterung der Kontexte („Ebenen“), in denen sich individuelle vertikale Entwicklung vollziehen kann bzw. auf denen eigenständige Prozesse der Entwicklung ablaufen.
  3. Systematisierung der Antworten auf die Frage nach den Möglichkeiten der Beförderung innerer Entwicklung auf den unterschiedlichen Ebenen ICH, WIR, ALLE und ALLES.

Beginnen wir mit dem ersten Punkt. Hier setzt sich Martin Permantier vorrangig mit drei Punkten in seinem neuen Buch intensiver auseinander. Als erster Punkt lässt sich hier die Einbettung der sechs Stufen der Haltungsentwicklung aus seinem ersten Buch, in das umfassendere Konzept der zehn Haltungsstufen von Jane Loevinger und Susanne Cook-Greuter nennen. Permantier ist in vielen seiner Seminare und Workshops zum Haltungsmodell immer wieder der Frage begegnet, was den vor bzw. nach den von ihm dargestellten Haltungsstufen liege. Die Antwort findet sich in den Modellen von Jane Loevinger und Susanne Cook-Greuter. Erstere ergänzt vor der ersten Haltungsstufe von Permantier, zwei vorsprachliche Haltungsstufen, namentlich die vorsozial-instinktive und die körperlich-verschmelzende Haltung. Diese sind für die eigentlich sprachgebundene Haltungsarbeit nicht wirklich gut zugänglich. Störungen in diesen beiden Haltungsphasen können aber sehr negative Auswirkungen auf weitere Entwicklungsverläufe eines Individuums haben.Am oberen Ende des Haltungsstufenmodells ergänzt Permantier in seinem neuen Buch ebenfalls zwei Haltungsstufen, welche in den Bereich der transpersonalen Haltungen fallen und vor allem von Susanne Cook-Greuter intensiv erforscht wurden. Es handelt sich hierbei um die folgenden beiden Stufen: die integriert-selbstaktualisierende und die fließend-akzeptierende Haltung. Beide Stufen sind dadurch charakterisiert, dass in Ihnen ein Bedeutungsverlust des ICH stattfindet, d. h., dass wir uns in diesen Stufen mehr und mehr einem ICH-losen Zustand annähern können. Hierbei ist die erste Stufe noch stärker dadurch charakterisiert, dass wir unser SELBST verändern und anpassen und damit auch ganz neue ICH-Zustände möglich werden. In der letzten Stufe beginnen wir dahingehend auch diese Bemühungen als Ausdruck einer unnötigen Trennung vom Weltganzen zu begreifen und erleben uns immer stärker ungefiltert in unseren direkten Wahrnehmungen im Kontext der Welt. Mit diesen Erweiterungen gelingt es Martin Permantier seinem Haltungsmodell eine wunderbare Kontextualisierung zu geben, welche es erlaubt, die sechs Stufen seines Kernmodells nur als einen möglichen Fokus der Betrachtung zu sehen, was wiederum einen noch freieren Umgang mit dem Modell ermöglicht.

Die zweite Ergänzung durch sein zweites Buch ist die Reflexion der Haltungsstufen vor dem Hintergrund in uns existierender Teilpersönlichkeiten. Diese Ergänzung halte ich für eine zentrale Ergänzung bzw. Vertiefung des Modells der sechs Haltungen. Durch diese Perspektivklärung wird noch einmal deutlicher, dass einzelne Personen nie in ihrer ganzen Persönlichkeit in einer Haltungsstufe einzuordnen sind, sondern viel mehr einzelne Teilpersönlichkeiten in uns sich gleichzeitig in unterschiedlichen Haltungen bewegen können. Wer zu Hause in der Mutterrolle eine höhere Haltung praktizieren kann, muss dies noch lange nicht auf seine Rolle als Führungskraft übertragen können. Umgekehrt kann ein solcher Unterschied aber genutzt werden, um Erfahrungen aus dem einen Rollenkontext in einen anderen Rollenkontext übertragen zu können.

Die dritte und letzte Ergänzung zu seinem Modell in seinem neuen Buch, ist die vertiefte Reflexion auf die Frage, ob die Entwicklung im Haltungsstufenmodell eine Art von „Besser“darstellt. Hier betont Martin Permantier auch in seinem neuen Buch, dass er eine solche wertende Betrachtung der vertikalen Stufenentwicklung nicht sieht. Gleichzeitig gibt es aber auch zu, dass sich die Beschreibung niedrigerer Stufen oft nicht lesen lassen, ohne den Eindruck zu erhalten, dass es sich hier um Stufen handelt, auf der viele Dinge noch nicht möglich sind, welche erst in einer höheren Stufe zugänglich werden. Ich muss in diesem Kontext immer an den „kybernetischen bzw. ethischen Imperativ“ von Heinz von Förster denken, der so formuliert werden kann[1]:

„Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“.

Folgt man diesem Imperativ, dann könnte die Entwicklung zu höheren Stufen der Haltung als Entwicklung hin zu Stufen interpretiert werden, in denen Individuen eine höhere Anzahl innerer Wahlmöglichkeiten für sich realisieren können. Wie man dies betrachten will, sei aber jedem selbst überlassen.

Kommen wir jetzt aber zum zweiten der obigen drei Punkte. Hier bietet „Haltung erweitern“ uns tatsächlich einen erweiterten Blick auf das Thema der Entwicklungsebenen. Aus ICH, WIR, ALLE in „Haltung entscheidet“ wird in „Haltung erweitern“ ICH, WIR, ALLE, ALLES. Martin Permantier begründet diese Erweiterung mit dem Hinweis darauf, dass jede dieser Ebenen bzw. Kontexte für die individuelle vertikale Entwicklung eigene wichtige Entwicklungsherausforderungen bereithält. Diese sind:

  • ICH (Selbsterkenntnis),
  • WIR (Perspektivwechsel),
  • ALLE (Bedeutungsgebung)
  • ALLES (Vernetzte Reflexion).

Diese Ebenen sind für sich allein genommen aber nicht nur unterschiedliche Entwicklungskontexte für einen ICH-SELBSTEntwicklungsprozess, sondern auch Heimat für eigene individuelle und überindividuelle Entwicklungsprozesse. Diese sind:

  • ICH (ICH-SELBST-Prozess),
  • WIR (Team-Prozess),
  • ALLE (Organisations-Prozess) und
  • ALLES (Gesellschaftlicher Entwicklungsprozess).

Ausgehend von diesen Ergänzungen und Vertiefungen beschäftigt sich der Großteil des Buches „Haltung erweitern“ dann mit der Frage, wie diese vier Entwicklungsprozesstypen auf ihrer jeweiligen Ebene in ihrer Entwicklung befördert werden können. Um zu verstehen, welche systematische Vorgehensweise Permantier hier wählt, reicht ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des neuen Buches. Hier findet man, dass alle vier Kapitel zu den Entwicklungsmöglichkeiten auf den vier Ebenen in vier Sub-Kapitel gegliedert sind. Diese vier Sub-Kapitel orientieren sich in ihrem Inhalt dabei an den bereits aus dem ersten Buch bekannten vier Dimensionen der vertikalen Entwicklung:

  • Charakter,
  • Interpersoneller Stil,
  • Bewusstseins-Fokus und
  • Kognitiver Stil.

Hierbei erscheint die Nutzung dieser vier Dimensionen für den individuellen Entwicklungsprozess direkt einleuchtend. Die Übertagung auf die überindividuellen Prozess aber zunächst erklärungsbedürftig. Hier zeigt sich aber die große Stärke des neuen Buchs von Martin Permantier, da es ihm nicht nur gelingt, diese Übertragung plausibel zu machen, sondern sie wird durch viele methodische Anregungen auf den jeweiligen Ebenen in Verbindung mit vielen Praxisbeispielen extrem bereichernd. Am Ende des Buches fragt man sich, wie man die Welt vorher je anders sehen konnte.

Was mir an Martin Permatiers Buch in besonderen Maße gefallen hat, ist die für mich sehr gelungene Balance in seiner Darstellung. Diese ist zum einen sehr umfassend (Ich, WIR, ALLE, ALLES) und hochabstrakt, wenn es um die Natur der vertikalen Entwicklung geht. Auf der anderen Seite ist sie aber auch sehr demütig, wenn er z. B. davon spricht, dass Haltung nicht produziert, sondern als emergentes Phänomen höchstens verwahrscheinlicht werden kann. Zusätzlich ist das Buch aber auch extrem praktisch mit all seinen methodischen Entwicklungsimpulsen und seinen Praxisbeispielen. Mir erscheint „Haltung erweitern“ wie ein extrem reichhaltiges Kompendium, zu dem ich in den nächsten Jahren immer und immer wieder zurückkehren werde, um Rat zu suchen. Ich fühle mich hier auch im Einklang mit Martin Permatiers eigener Zielsetzung, wie sie am Ende seines Buches zu lesen ist:

„Genau das soll dieses Buch anregen: eigene Beobachtungen zu machen und Ideen als entwicklungsorientierende Hinweise verstehen.“

In Summe ist das Buch ein inspirierender, kluger, unglaublich reicher und auch in seiner Form wunderschöner Reisebegleiter, welcher sowohl was die eigene Entwicklung als auch was die Entwicklung anderer, in welchen Kontexten auch immer, angeht, unterstützen kann. Dies entweder als Selbstentwickler oder auch als Entwicklungsbegleiter von anderen Menschen.

  1. Verwendete Literatur
    Stangl, W. (2023, 20. Oktober). kybernetischer Imperativ. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
    https://lexikon.stangl.eu/22192/kybernetische-imperativ-ethischer.