Der Ausspruch „Führung ist ……“ würde von zehn Personen wahrscheinlich auf zehn Arten vollendet werden. Der Begriff Führung ist für die einen zu einem Leerbegriff und für die anderen zum heiligen Gral organisationalem Erfolgs geworden. Wie man es auch hält, an dem Begriff und dem dahinter liegenden Phänomen kommt man im modernen organisationalen Alltag auf jeden Fall nicht vorbei. Dazu kommt in den letzten Jahren noch, dass der Begriff Führung noch mit Attributen wie „agiler Führung“ oder „partizipativer Führung“ versehen wird und somit eine weitere Steigerung der Komplexität dieses Begriffes zu verzeichnen ist. Als Coach und Organisationsberater stehe ich daher immer wieder vor der Herausforderung, meinen Klienten in dieser überbordenden Komplexität einen Zugang zu diesem Phänomen anbieten zu können, welcher sowohl orientierend und auch aktivierend wirkt. Hierbei hat sich für mich in den letzten beiden Jahren ein konzeptionelles Verständnis von Führung als sehr hilfreich erwiesen, welches Führung in zwei Dimensionen beschreibt. Zum einen ist dies die Funktionsdimension, d.h. die Antwort auf die Frage, welche Funktion Führung in einer Organisation erfüllt. Zum anderen die Organisationsdimension, d.h. die Beantwortung der Frage, wie diese Führungsfunktionen in einer gegebenen Organisation konkret organisiert werden. Diese beiden Perspektiven erlauben es dabei unterschiedlichste Führungskonstellationen in verschiedensten Organisationen so betrachten zu können, dass zum einen die Gemeinsamkeiten (Funktionsperspektive) in den Vordergrund treten und zum anderen die Unterschiede strukturiert erfasst werden können (Organisationsform von Führung).

Um diese Einsicht in der Praxis möglichst einfach anwenden zu können, habe ich in den letzten zwei Jahren zusammen mit meiner Kooperationspartnerin Marie Hübner (www.graphictelling.org) und anderen unterstützenden Kollegen (hier möchte ich vor allem die Kollegen von www.teamkairos.de sowie Vera Morgenschweis von der Haufe.Group nennen) das Konzept der „Führungsfunktionskarten“ entwickelt (Details zu Kosten und Beschaffung finden Sie hier). Hierbei handelt es sich um ein Kartenset, welches die Funktionsseite der Führung über 30 Führungsfunktionskarten abbildet. Diese Karten ermöglichen es in unterschiedlichen Kontexten (Einzel-Coaching oder Workshops) das Thema Führung genauer zu betrachten. Der Einsatz der Karten kann dabei sehr unterschiedliche Ziele verfolgen, wie z.B.:

  • Eine individuelle Bestandsaufnahme der persönlichen Haltung zum Phänomen Führung (Stärken, Präferenzen, Handlungsfelder bzw. Angstfelder),
  • Das finden einer gemeinsamen Sprache für das Phänomen Führung in Führungskräfteteams.
  • Das Identifizieren von gemeinsamen Stärken, Schwächen und Handlungsfeldern in Führungsteams.
  • Die Arbeit an einer gemeinsamen Führungskultur.
  • Die Agilisierung von Führung (Umstellung von personaler Führung auf partizipative Führung).

Gleich ist bei allen diesen Zielen, dass zunächst nur über die Funktion von Führung gesprochen wird und erst in einem zweiten Schritt die Organisation von Führung in den Blick tritt. Dies ermöglicht z. B. auch einen transparenten Übergang von „hierarchischer und heroischer Führung“ (alle Funktionen sind in einer Person gebündelt und „organisiert“) hin zu „agiler oder partizipativer Führung“ (einzelne oder alle Funktionen von Führung werden auf Teams oder aber zentrale Stellen verteilt und organisiert). Scrum als agiler Führungsansatz lässt sich in dieser Sichtweise als die funktionale Dekonstruktion von Führung in mindestens drei bis vier Funktionsgruppen verstehen (Product-Owner, Scrum Master und Team bzw. zentrale Stellen). Diese integrierende Perspektive auf Führung ermöglicht es eine Brücke zwischen den beiden oft als komplett konträr wahrgenommenen Welten der klassischen, auf die Person hin fokussierten, Führung auf der einen Seite und der agilen bzw. partizipativen Führung auf der anderen Seite zu bauen. Eine Möglichkeit, die sich im Kontakt mit vielen Führungskräften als Transparenz stiftend und vor allem entlastend erwiesen hat, da sie die oft destruktive Spannung zwischen beiden Welten zugunsten eines konstruktiven Diskussionsansatzes ersetzt.

Im Folgenden finden Sie eine Auswahl möglicher Anwendungsformate:

Anwendungsbeispiel – Einzel-Coaching: Führungs-Inventory

(Zeitbedarf: ca. 60-120 min)

Führung ist für viele Führungskräfte ein sehr weites Feld, wodurch ein Dialog über Führung in der Praxis sehr erschwert wird. Mit Hilfe der vorliegenden Karten kann daher folgende Übung im Coaching sehr hilfreich sein. Geben Sie Ihrem Coaching-Klienten die 30 Führungsfunktionskarten und stellen Sie ihm/ihr folgende Fragen:

  1. Verstehe ich die dargestellten Führungsfunktionen,
  2. Bilden diese Funktionen die Anforderungen meines Führungsalltags vollständig ab? (Falls dies nicht der Fall ist, so können neue Funktionen ergänzt werden),
  3. Bei welchen Funktionen fühle ich mich sehr wohl im Führungsalltag?
  4. Welche Funktionen fallen mir sehr schwer?
  5. Bei welchen Funktionen fehlen mir Erfahrungen?
  6. Bei welchen Funktionen bin ich ratlos?
  7. Wo fühle ich mich von meinem Team im Besonderen gefordert?

Aufbauend auf diesen Antworten können Sub-Cluster der Karten gebildet werden und dann im weiteren Verlauf des Coachings nacheinander besprochen und hieraus einzelne Maßnahmen und Praxisaufgaben abgeleitet werden.

Anwendungsbeispiel – Team: Für Führung im Team – eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis finden (Zeitbedarf: ca. 120 min):

Jeder Teilnehmer erhält ein vollständiges Kartenset und wird aufgefordert mit einem Kollegen zunächst folgende Fragen zu klären:

  1. Verstehe ich die dargestellten Führungsfunktionen,
  2. Bilden diese Funktionen die Anforderungen meines Führungsalltags vollständig ab? (Falls dies nicht der Fall ist, so können neue Funktionen ergänzt werden),
  3. Welche Funktionen lebe ich im Alltag sehr häufig?
  4. Welche Funktionen werden nicht von mir ausgefüllt, sondern anders in der Organisation abgebildet (z.B. andere Funktionsabteilungen oder aber andere Hierarchieebene).

Nach Abschluss dieser Vorübung (ca. 30 min), können die Ergebnisse der Dialoge im Plenum vorgestellt und diskutiert werden (60 – 90 min). Leitfragen für eine Diskussion könnten hierbei sein: Welche Muster zeigen sich in der Gruppe? Was scheint unser Führungsverständnis zu charakterisieren? Welche gemeinsamen Weiterbildungsmaßnahmen bräuchten wir? Welche Weiterentwicklung der Organisation wäre wünschenswert?

Anwendungsbeispiel – Team: Handlungsfelder im Bereich Führung im Team identifizieren (Zeitbedarf: ca. 90 min):

Analog zur 1. Übung  (siehe vorher) kann ein solches Inventory auch in Führungsteams durchgeführt werden. Hier kann dann eine Besprechung der Sub-Cluster im Team erfolgen. Leitfragen können sein: Welche Muster beobachten wir im Team? Welche Problemstellungen sollten wir gemeinsam angehen? Wo zeigen sich gemeinsame Bedarfe des jeweiligen Teams?

Anwendungsbeispiel – Organisation: Führung partizipativer werden lassen (Coaching, Team, Organisation) (Zeitbedarf: 210 – 360 min)

In der folgenden Übung geht es darum, dass für ein Team oder aber auch eine Organisation Ansätze für eine partizipativere Organisation von Führung gefunden werden. Der Grundgedanke dieser Übung ist es, dass grundsätzlich jede der auf den Führungsfunktionskarten abgebildeten Funktionen nicht nur durch eine Führungskraft abgebildet werden kann, sondern ebenso gut oder auch besser durch ein Team. Die Funktion des Performance Managers kann so z.B. durch 1:1 Gespräche der jeweiligen Führungskraft mit einem Mitarbeiter abgebildet werden, sie kann aber genauso gut über ein „Team Appraisal“ umgesetzt werden. In diesem Fall findet die Leistungsbeurteilung in einem Teamsetting statt und die Mitarbeiter im Team geben sich Feedback zu ihrer jeweiligen Leistung. Ähnliche Ansätze lassen sich in allen 30 Funktionsbereichen finden. In der Praxis ist eine Organisation bzw. ein Führungsteam gut beraten, nicht gleich in allen 30 Bereichen gleichzeitig den Wandel zu vollziehen, sondern sich z.B. 2 – 3 Felder heraus zu suchen, um in diesen dann erste Erfahrungen zu machen. In dieser Übung geht es jetzt darum festzulegen, in welchem Funktionsbereich, Führung wie organisiert werden soll. Hierzu wird zunächst einmal eine hierarchieorientierte Funktionsmatrix aufgebaut (Spalten: Hierarchiestufen, Zeilen: Führungsfunktionen). Anschließend wird im Dialog im Führungsteam darüber gesprochen, wer in der Führungshierarchie zu wieviel Prozent an der Umsetzung der einzelnen Funktionen in der Organisation beteiligt ist. Hierdurch entsteht ein gemeinsames Bild, in dem zu erkennen ist, ob und inwieweit einzelne Führungshierarchie-Ebenen bzw. Mitarbeiter an einzelnen Führungsfunktionen beteiligt sind. Dieser Schritt dauert typischerweise ca. 90 – 120 min. Ausgehend von diesem Bild kann dann im nächsten Schritt eine Festlegung getroffen werden, in welchen Führungsfunktionsfeldern der „Regler“ weiter nach rechts in Richtung untere Hierarchieebenen bzw. Mitarbeiter  geschoben werden soll, d.h. in welchen Feldern die entsprechenden Rollen stärker in die Pflicht genommen werden sollen. Für diesen Schritt sollte man ca. 60 – 90 min einplanen. Sind diese Felder benannt und die Verschiebungen festgelegt, muss dann in einem letzten Schritt noch festgelegt werden, in welcher Form diese Veränderung methodisch (siehe z.B. oben den beschriebenen Ansatz des „Team-Appraisals“) umgesetzt werden soll und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Für diesen abschließenden Schritt sollte man je nach dem, wie stark noch ein Informationsteil über partizipative Methoden eingeschoben wird, ungefähr 60 – 150 min (letzteres falls mehrere Methoden vorgestellt werden) einplanen.

Anwendungsbeispiel – Organisation / Change: Führungs-Fokus im Führungskreis festlegen (Zeitbedarf: 180 – 240 min)

In den Zeiten von Change in denen sich praktisch alle Unternehmen und Organisationen regelmäßig befinden, ist es oft eine besondere Herausforderung das „Geschäft“ am laufen zu halten und den Fokus auf die Führung der Mitarbeitenden nicht zu verlieren. In diesen Zeiten ist es wichtig, als Führungsteam wirksam zu werden oder zu bleiben. Dabei kann es helfen, mit Hilfe der Führungsfunktionskarten zielgerichtet und klärend im Kreis der Führungskräfte eine Antwort auf die Schlüsselfrage zu finden, welche der Führungsfunktionen für die anstehende Veränderung von besonderer Bedeutung ist. Das nachfolgend beschriebene Verfahren ermöglicht es den Führungskräften in einen wertvollen Austausch zu den Führungsfunktionen im aktuellen Unternehmens-Kontext zu kommen, neue Einsichten zu gewinnen und schließlich die Top 3 oder Top 5 Führungsfunktionen zu identifizieren, auf die sich die Führungskräfte dann fokussieren sollten.

Prozess in Großgruppen:

Schritt 1: Aufteilen der Gruppe in Kleingruppen an Tischen (4-6 Personen)

Schritt 2: Vorstellen des Ziels und der Methodik sowie der einzelnen Karten (Großformat) durch die Moderation (Zeitbedarf: 15 min)

Schritt 3: Verteilen der Kartensets an die Teilnehmenden (Zeitbedarf: 5 min)

Schritt 4: Anleitung der Kleingruppen lesen und diskutieren der Funktionskarten mit dem Ziel, ein inhaltlich gemeinsames Verständnis der Karten zu erreichen. (Zeitbedarf: 20 – 30 min)

Schritt 5: Aufforderung der Kleingruppen die Karten mit Blick auf die Zielsetzung / die Schlüsselfrage am Tisch zu priorisieren (z. B. Scoring Modell: 1 – 10 Punkte, 2 – 5 Punkte, 3 – 3 Punkte, 4 – 2 Punkt, 5 – 1 Punkt).

Schritt 6: Abfrage der Ergebnisse der Kleingruppen. Sprecher der Kleingruppen stellen den Prozess und die Ergebnisse der Gruppe vor

Schritt 7: Moderation dokumentiert und konsolidiert die Kleingruppenergebnisse auf einem Übersicht-Chart und ermittelt die Top 3 / Top 5 Führungsfunktionen.

Schritt 8: Austausch zum Prozess / Vergemeinschaftlichen der Ergebnisse und Überleitung zur Erarbeitung des tieferen Verständnisses der Führungsfunktionen im Unternehmens-Kontext

Im Anschluss bietet es sich dann an, die ausgewählten Top 3 oder Top 5 Führungsfunktionen genauer zu beschreiben und in einer weiteren Detailierung entlang folgender Fragen:

  1. Was macht die ausgewählte Funktion in der Praxis unserer Organisation genau aus?
  2. Was ist der aktuelle Nutzen dieser Funktion für die Organisation?
  3. Was braucht es, um diese Funktion im betrachteten Kontext wirksam werden zu lassen?
  4. Woran werden wir erkennen, dass wir diese Funktion im Rahmen der laufenden Veränderung besser ausführen?

genauer zu bearbeiten.

Weitere Ressourcen

Sollten Sie Interesse oder Bedarf an zusätzlichen Ressourcen zur Anwendung der Führungskarten haben, so bieten wir Ihnen gerne folgende zusätzliche Ressourcen an:

  • Moderationskarten (Kartenset mit 30 Großkarten zur Moderationsunterstützung)
  • Training der Funktionskarten sowie der dargestellten Anwendungen im Rahmen eines Tagesseminars

Die Karten liegen aktuell in Deutsch und Englisch vor.

Bei inhaltlichen Fragen können Sie uns gerne über www.alexander-zock.de kontaktieren.

Details zu Kosten und Beschaffung finden Sie hier.

Inhaltlich-Konzeptionelle Verantwortung: Alexander Zock (az@alexander-zock.de)

Grafik und Design: Marie Hübner (info@graphictelling.org )